War die Atombombe auf Hiroshima richtig? Welches war das beste Jahrzehnt? Und was war der schlimmste Fashion-Trend? Im Internetforum Reddit sorgt ein 90 Jahre alter Weltkriegsveteran für Furore.
Was bedeuten denn eigentlich LOL und ROFL?
Was hat man eigentlich in früheren Zeiten gemacht, wenn man etwas wissen wollte und gerade kein Brockhaus zur Hand war? Man hat natürlich die Älteren gefragt und auf eine einfache Formel gesetzt: Hohes Lebensalter = hohe Lebenserfahrung ergo viel Wissen.
Je älter die wandelnde Wikipedia , desto besser. Die Alten und vermeintlich Weisen zu fragen, das war noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in nahezu allen Kulturen der Welt eine Selbstverständlichkeit. Heute gibt es Google .
Seniorin ist zu alt für Facebook
Ron Lehker wird mit Fragen überhäuft
Das Bedürfnis, sich bei Menschen Rat und Orientierung zu holen, die schon ein paar Jahrzehnte und Zeitgeister mehr auf dem Buckel haben, scheint aber dennoch ungebrochen, das beweist in den USA gerade ein 90 Jahre alter Rentner namens Ron Lehker, der im Internetforum Reddit mit Tausenden von Fragen bestürmt wird.
Alles fing damit an, dass Lehker, ein Weltkriegsveteran und ehemaliger Lehrer, der zuletzt 13 Jahre Schulleiter war und nahe Washington D.C. lebt, den Kontakt zu jungen Leuten vermisste und sich von einem seiner Enkel zeigen ließ, wie man auf Reddit ein sogenanntes AMA-Posting erstellt, kurz für "Ask Me Anything". Das las sich so: "I Am 90 Years Old - An officer during WWII, a retired educator, and more engaged with society today than I've ever been before. AMA!"
Nutzer stellen die großen Fragen
Das war am 10. Januar, seitdem füllt sich der Thread ständig mit neuen Fragen aus aller Welt. Unterschiedlichste Dinge wollen die Reddit-User von Lehker wissen, es geht um Banalitäten ebenso wie um Weltpolitik, Soziales und die großen Fragen: "Fühlen Sie sich alt, und wenn ja: Wann hat das angefangen?", lautete eine der universellsten Anfragen.
Andere wollen nur wissen, ob Lehker vom Verkehr auf den lokalen Highways genervt ist, ob es nicht eine Schande ist, was aus der schönen Sängerin Cher seit den Sechzigern geworden ist - oder welchen Modetrend er für am schlimmsten hält (den "Zoot Suit" der Vierziger). Und natürlich, ob er sich viele Pornos ansehe.
"Sind die Dinge wirklich so schlimm, wie sie scheinen?"
Aber auch tiefer gehende Dinge wollen die User mit Lehker besprechen: "Als junge Person, die heute lebt, finde ich es wirklich schwer, nicht pessimistisch über die aktuelle Weltlage zu sein", sagt einer. "Sind die Dinge wirklich so schlimm, wie sie scheinen? Oder fehlt mir nur die Perspektive?" Andere wollen wissen, wie er, ein Zeitzeuge der Bürgerrechtskämpfe in den Sechzigern, die Situation der Schwarzen in den USA beurteile - oder suchen politische Anleitung, indem sie wissen wollen, wen er bei der kommenden Präsidentschaftswahl wählen würde.
Mit die meisten Nachfragen und Kommentare löste die Frage aus, ob Lehker es für richtig halte, dass die USA einst Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abwarfen, um den Krieg im Pazifik zu beenden. Lehkers zumeist von Humanismus und Liberalismus geprägte Antworten kann man hier nachlesen . Einige Gedanken fasst er inzwischen auch in seinem neu eingerichteten Blog zusammen.
"Er versucht, ihr Guru zu sein"
Der 1925 in Texas geborene Ex-Marine war Basketballspieler, Lehrer und Rektor, war 43 Jahre mit seiner Frau verheiratet, bis sie 1995 starb (inzwischen hat er eine neue Partnerin) und hat vier Kinder und neun Enkel - Lebenserfahrungen, aus denen er gegenüber den Wildfremden im Internet freimütig plaudert: nie belehrend, mürrisch oder gar selbstverliebt, sondern interessiert, wissbegierig, positiv und von rührender Bescheidenheit. "Er versucht, ihr Guru zu sein", schreibt die "Washington Post" in einem Porträt über Lehker .
Jeden Tag widmet er sich zwei oder drei Stunden seinen Fragestellern auf Reddit, dann macht er ein Nickerchen und ruht sich aus. Wild entschlossen, auf alle Fragen zu antworten, ist er allemal, auch wenn es Jahre dauert. "OMG! I love the new social media - such a fascinating way to connect", schreibt er einmal begeistert, als er nach seiner Erfahrung mit der Liebe gefragt wird - und hält kurz inne, dann doch ein wenig verwundert über seine späte Karriere als lebendes Lexikon in einem virtuellen Konstrukt sozialer Kontakte: "...yet so sterile in its ability for us to get acquainted".
Stimmt natürlich. Noch schöner wäre es, man säße ihm gegenüber und könnte ihm beim Erzählen zuhören.
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